Verhandlung einer Honorarklage gegen den Tagblatt Anzeiger

Hausschild, Landgericht Stuttgart, Zivilgerichtssäle, Werastraße 4, Stuttgart 2016. Foto: Martin Schreier
Landgericht Stuttgart, Zivilgerichtssäle, Werastraße 4, Stuttgart 2016. Foto: Martin Schreier

Dienstag, 8. November 2016, Tag des Gerichtstermins

Die 17. Zivilgerichtskammer des Landgerichts Stuttgart tagt in einem Ausweichquartier in der Werastraße 4. Der Verhandlungssaal ähnelt einem Behördenbüro. Das Mobiliar ist einfach und in die Jahre gekommen. Vorm Fenster und mit Tageslicht im Rücken sitzen die Richter. Den Vorsitz hat Bernd Rzymann (2010 gab er den Seitenflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs zum Abriss frei). Neben ihm die Richter Felix Rausch und Patrick Fähnle. Von den vier Zuschauerstühlen aus betrachtet, haben zur Linken die Vertreter der Beklagten Platz genommen: der Verlagsleiter der Schwäbischen Tagblatt GmbH Gerd Waldenmaier und der Rechtsbeistand Daniel Gramlich. Ihnen gegenüber, also zur Rechten, sitzt die Klägerin, Mitte fünfzig, und ihr Rechtsanwalt Matthias Chromik.

Richter Rzymann stellt fest, dass Ansprüche aus 2012 verjährt sind. Für die übrigen Forderungen komme eine Verwirkung nicht in Betracht, weil die Ansprüche der Klägerin für den Zeitungsverlag nicht existenzvernichtend seien. Die Gemeinsamen Vergütungsregeln für Tageszeitungen seien nicht direkt anwendbar, sollen aber als Anhaltspunkt herangezogen werden. Das Gericht lässt sich Presseausweise der Klägerin zeigen und schließt daraus auf ihre Hauptberuflichkeit als Journalistin.

Keine direkte Anwendung der GVR für Tageszeitungen

Für Richter Rzymann ist eine zentrale Frage, in wie weit sich die Arbeit eines freien Journalisten für eine Tageszeitung von der Arbeit für ein Anzeigenblatt unterscheidet. Seiner Ansicht nach haben Tageszeitungen einen höheren Qualitäts- und Aktualitäts-Anspruch als Anzeigenblätter. Eine direkte Anwendung der Gemeinsamen Vergütungsregeln für Tageszeitungen komme deshalb nicht infrage. Welche Qualität die Arbeiten der Klägerin gehabt haben, spiele dabei keine Rolle. Entscheidend seien lediglich die Anforderungen, die die Anzeigenblätter stellen, und diese seien eben geringer als die von Tageszeitungen.

Richter Rzymann spricht sich für eine unterschiedliche Bewertung der Bild- und Textansprüche aus. „Zehn Euro pro Lichtbild erscheinen uns ein bisschen zu wenig.“ Zwischen den gezahlten zehn Euro und den von der Klägerin geforderten 48 Euro bestehe ein großer Unterschied. Die geforderte Summe sei fast das Fünffache. Bei Bildern sei die Differenz zwischen gezahltem Honorar und gefordertem Honorar deutlich größer als bei den Texten. Das Gericht habe zwar kein Ermessen aber einen Beurteilungsspielraum.

Kürzere Zeilen, weniger Anspruch

Der Verlagsgeschäftsführer Waldenmaier meldet sich zu Wort und behauptet, die Vergütungsregeln Foto gelten nur für Fotojournalisten. Diese hätten eigene Fahrtkosten und höhere Investitionen für ihre Ausrüstung.
Die Klägerin führt an, der Reutlinger General-Anzeiger zahle seinen hauptberuflich freien Journalisten dreißig Euro pro Bild. Die Fahrtkosten für einen separaten Fotografen spare sich der Verlag. Rechtsanwalt Chromik ergänzt, Text und Bild hätten beide im Anzeigenblatt ihren Wert.

Der Richter fragt, ob das Urteil für eine der Parteien von grundsätzlicher Bedeutung sei. Beide verneinen.
Waldenmaier behauptet, dass die gezahlten Honorare von den Freien, die für den Tagblatt Anzeiger arbeiteten, akzeptiert würden. Dass jemand nach Ende der Zusammenarbeit „nachkarrt“ sei normal.
Ferner macht die Partei der Beklagten geltend, dass der Tagblatt Anzeiger deutlich weniger Zeichen pro Zeile hat, als die in den Vergütungsregeln zugrunde gelegten 34 bis 40 Buchstaben.

Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Während dessen fragen wir den Tagblatt-Verlagsleiter Waldenmaier, ob ihm nicht klar ist, dass Freie die Honorare nur deshalb akzeptieren, weil sie anderenfalls ihren Job verlieren. Waldenmaier: „Wir betreiben kein Dumping, sondern zahlen, was bei Anzeigenblättern üblich ist.“

Richter legt Zweitdruckrecht zugrunde

Das Gericht kehrt zurück. Richter Rzymann stellt fest, es geht um 300 Bilder. Er könne aber nicht vom Erstdruckrecht ausgehen und hält einen Nachschlag von zehn Euro pro Bild für angemessen. Auch bei den Texten legt er lediglich die Honorarsätze fürs Zweitverwertungsrecht zugrunde. Darüber hinaus will er dreißig Prozent vom geforderten Honorar abziehen, weil die Zeilen weniger Buchstaben haben, als die in den GVR zugrunde gelegte Normalzeile. Weitere Abzüge seien notwendig, weil die Qualitätsanforderungen unterhalb derer der Tageszeitungen liegen. Rzymann hält 0,35 Euro pro Zeile für angemessen. Diese wiederum würden sich nicht so sehr vom gezahlten Zeilenhonorar unterscheiden. Der Richter schlägt eine Nachzahlung von 5 000 Euro vor: 3 000 für die Bilder und 2 000 für die Texte.

Der Anwalt der Klägerin, Chromik fordert 10 000 Euro als Nachzahlung. Der Verlagsleiter der Beklagten hält 5 000 Euro für das Äußerste, weil seiner Ansicht nach für die Texte eigentlich gar nichts nachzuzahlen wäre.
Richter Rzymann rechtfertigt seinen Vorschlag. Zu den harten Fakten zähle die deutlich geringere Anzahl Buchstaben pro Zeile. Zu den weichen Fakten die Frage um das Erst- oder Zweitdruckrecht. „Da haben Sie die Beweislast“, sagt der Richter zur Klägerin. „Die 10 000 Euro werden Sie hier nicht durchsetzen. Was das Oberlandesgericht jetzt entscheiden würde, wissen wir nicht.“ Es sei ein Fall, mit dem man sehr gut in Berufung gehen könne. „Die Trumpfkarte, die Sie haben, ist die Rechtsschutzversicherung.“ Er schlägt nun 7 000 Euro vor. Als die Partei der Klägerin noch einwendet, dass die Texte aber auch online erschienen sind, protestiert die Gegenseite erregt. Der Geschäftsführer sagt, die Online-Veröffentlichung sei durch einen technischen Defekt zustande gekommen. Die Texte seien zum Zeitpunkt der Online-Veröffentlichung schon alt gewesen. Insofern könne man in dem Zusammenhang nicht mal von einer Nutzung sprechen. Letzten Endes einigen sich die Parteien in einem Vergleich auf 7 500 Euro. Die Kosten trägt zu drei Viertel die Partei der Klägerin.

Wäre es zu einem Urteil gekommen, hätte die 17. Zivilgerichtskammer der Klägerin nur 5 000 Euro zugesprochen. Das konnte man jedenfalls den Aussagen des Richters entnehmen. Interessant wäre gewesen, wie die nächste Instanz entschieden hätte.

 


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Kurzüberblick und -interview „Nie wieder für ein Anzeigenblatt“

Vergleichstext mit dem Tagblatt Anzeiger im Wortlaut

Einordnung und Bewertung des Verfahrens und seines Ergebnisse

Schlussfolgerungen aus der Honorarklage gegen den Tagblatt Anzeiger

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